Rezension zu ‚Scrambling for Africa‘ von Johanna T. Crane
Rezension zu: Johanna Taylor Crane 2013 Scrambling for Africa: AIDS, Expertise, and the Rise of American Global Health Science. Ithaca, N.Y.: Cornell University Press
Johanna Crane beschreibt in ihrem Buch die globalen Zusammenhänge der HIV/AIDS-Forschung und skizziert ein komplexes Netzwerk, aus ugandischen und US-amerikanischen Forschern, welches französische Viren, indische Pharmaunternehmen, Drogenabhängige aus San Francisco und transnationalen NGO miteinander verbindet. Mit ihrem Ansatz, die globale Vernetzung unterschiedlichster Akteure zu skizzieren orientiert sie sich an Ong und Collier (2005) und ihrem Konzept der ‚global assemblage‘. Den ethnographischen Kern bildet die Betrachtung der Mbarara Imune Wellness Clinic im Südwesten Ugandas, einer echten Klinik mit falschem Namen. Anhand der Geschichte und Verbindungen der Klinik zeigt sie, wie globale Ungleichheiten Forschung und Umgang mit HIV/AIDS im Rahmen der Global Health Sciences prägen.
Sie beginnt mit der historischen Entwicklung der AIDS-Therapie in Afrika. Dabei zeigt sie auf, wie technische Debatten in Diskursen über Bürgerrechte, Ungleichheit und Afrikas Verhältnis zu Modernisierung und Globalisierung verortet sind. Die Klassifizierung von AIDS in Afrika als Ausnahmezustand war die Voraussetzung eines massiven Einsatzes von antiretroviralen Medikamenten. Mit Rottenburg (2009) stimmt sie überein in Hinsicht auf die Bedeutung des Ausnahmezustandes für humanitäre Intervention, auch wenn die Beziehung zwischen Staat und Intervention im Buch nur kurz durch die Kritik ugandischer Mediziner anklingt.
Seit den 2000ern drängten US-Institutionen auf den afrikanischen Kontinent, um dort Forschungen zu HIV/AIDS zu betreiben. Cranes Untersuchung von Forschungen außerhalb des Westens weist Parallelen zu Petrynas Untersuchung von ‚clinical trails‘ (2009) auf, allerdings sind die Rahmenbedingungen andere: Während Petrynas kommerzielle Unternehmen vor allem aus Kostengründen in Osteuropa und Lateinamerika forschen, dient die Intervention in Afrika auch der Bekämpfung und Erforschung der Epidemie vor Ort. Ein Kernargument von Crane ist dabei, dass die Ungleichheit, deren Überwindung das Ziel der Global Health Sciences ist, reproduziert und zu Forschungszwecken genutzt wird. In der Kritik dieser Verhältnisse liegt das besondere Potential des Buches, weil der Blickwinkel einer als universell angenommenen westlichen Wissenschaft mit Afrika als Randgebiet der Wissensproduktion herausgefordert wird. Dabei würdigt sie jedoch auch die unbestrittenen Verbesserungen der Gesundheitsversorgung durch die Interventionen.
In ihrem Versuch die politische Ökonomie von HIV zu beschreiben, nähert sich Crane der genetischen Untersuchung des Virus auf der molekularen Ebene. Sie beschreibt den wissenschaftlichen Umgang mit den verschiedenen Formen des Virus und wie das ‚mapping‘ des Genoms nicht nur in politische und wissenschaftliche Strukturen stattfindet, sondern selbst Machtbeziehungen und soziale Zuschreibungen festschreibt.
Bei der Verlagerung des Forschungsinteresses der Global Health Science nach Afrika identifiziert sie zwei Problemfelder: (1) Die Übersetzung zwischen der qualitativen, klinischen Sprache, die in Uganda benutzt wird und den quantitativen, molekularen Forschungsbegriffen der US-Wissenschaftscommunity. Der Ort der Übersetzung ist dabei ein eigenes Labor und die Entscheidung über den Zugang zu diesem Ort ist eine entscheidende in der Ausgestaltung der Global Health Science. Dies führt zu (2), der Besonderheit von Laboren im postkolonialen, globalen Süden, in denen die finanzierenden Institutionen aus dem Norden, Wissenschaftler aus dem Süden ein- oder ausschließen können.
In diesem Zusammenhang wird die Namensgebung des Buchs am deutlichsten aufgegriffen: In Bezugnahme auf die Berliner Konferenz von 1884 und den Wettlauf der europäischen Mächte um die Aufteilung Afrikas, wird die aktuelle Situation als ‚golden opportunity‘ für die HIV-Forschung beschrieben. Auch wenn Crane deutlich herausarbeitet, dass sie koloniale Eroberung und Global Health Science keineswegs gleichsetzt, sieht sie Parallelen in der wachsende Konkurrenz der US-Forscher um Partner und lokale Ressourcen und der Dynamik mit der NGO und Universitäten Forschungsfelder in Afrika erschließen.
Diese Entwicklung wird auch in der ethnographischen Beschreibung der Entwicklung der Immune Wellness Clinic zu einem Ort der globalen Wissensproduktion über HIV deutlich. Sie beschreibt das Ineinandergreifen von wissenschaftlicher Forschung, medizinisch-humanitärer Intervention und ökonomischer Entwicklung. Auf strategischer Ebene ist die Schaffung von Behandlungsmöglichkeiten ähnlich wichtig wie der wissenschaftliche Forschungsauftrag und auch die Motivation der Forscher besteht gleichermaßen aus humanitärem Engagement und Erkenntnisinteresse unter bestmöglichen Forschungsbedingungen im Herz der Epidemie.
Crane beschreibt auch die materielle Transformation von Daten in der Mbarara Imune Wellness Clinic und wie diese durch die Kooperation mit US-Forschungseinrichtungen von Patientendaten in klinischen Unterlagen zu wissenschaftlichen Daten werden.
Auch werden ugandische Forscher kaum in die (Publikations-)Netzwerke ihrer US-Partner integriert und ihre Marginalisierung somit fortgeschrieben. Die Machtbeziehungen in Zusammenhang mit der Intervention eines Mächtigen in die Sphäre des Schwächeren werden in Anlehnung an Ortner (1995) als ambivalent beschrieben. Crane lässt dazu ugandische Ärzte und Wissenschaftler zu Wort kommen, die differenziert abwägen zwischen Vorteilen und Nachteilen der Kooperation mit US-Institutionen. Eine besondere Bedeutung hat dabei das finanzielle Ungleichgewicht der Partner und die so ermöglichten neokolonialen Dynamiken der Erschließung und Nutzbarmachung Afrikas. Ihre Untersuchung des Consortium of Universities for Global Health folgt dabei dem Ansatz des ‚study up‘ und soll eine Analyse der reichen und mächtigen Institutionen liefern.
Die Stärken des Buches sind neben der Verständlichkeit und Zugänglichkeit des Schreibstils, die klargezeichneten Verbindungen zwischen globaler Ungleichheit, Wissensproduktion und Technologie in einem postkolonialen Kontext. Während das Kapitel über den technisch-wissenschaftlichen Umgang mit dem Virus klassischen Pfaden der STS folgt, spielt das Buch seine Stärke in seiner ethnographischen Beschreibung der Reisen, Aktivitäten und Kooperationen der Forscher aus. So werden Dynamiken der globalen Vernetzung und die Hintergründe von Interventionen im Rahmen des Ausnahmezustandes verdeutlicht und verständlich gemacht.
Literatur
Johanna Taylor Crane 2013 Scrambling for Africa: AIDS, Expertise, and the Rise of American Global Health Science. Ithaca, N.Y.: Cornell University Press
Aihwa Ong, Stephen J. Collier (Hrsg.) 2005 Global Assemblages: Technology, politics and ethics as anthropological problems. Malden, MA: Blackwell
Sherry Ortner 1995 Resistanceand the problem of ethnographic refusal. Comparative Studies in Society and History 37 (1):173-193
Adriana Petryna 2009 When experiments travel: Clinical trials and the global search for human subjects. Princeton: Princeton University Press
Richard Rottenburg 2009 Social and Public Experiments and New Figurations of Science and Politics in Postcolonial Africa. Postcolonial Studies 12 (4): 423-440