Im Feld mit… Studierenden: Normalität in Zeiten von Corona
Lea Cara Schöche und Henriette Werling
Woher kommt er, der Wunsch nach Normalität? Seit fast einem Jahr herrscht eine andere Normalität. Sie besteht aus Alltagsmasken, Abstandsregeln, Reiseeinschränkungen, Homeschooling, Kontaktbeschränkungen und vielem anderen.
Der Zwischenbericht zu diesem Projekt findet sich hier:
Für eine globale Pandemie scheint das normal, aber nicht für das eigentliche Leben. Nahe Angehörige haben uns in Interviews und Telefonaten von ihrer Wahrnehmung von Normalität erzählt. Sie sind es auch, auf die wir in dieser Zeit zurückgreifen konnten und mussten. Das schränkte eine ethnologische Forschung und insbesondere das Forschungsfeld deutlich ein.
Wir leben in einem neuen Bewusstsein für Zeit und für Normalität. Die Corona-Pandemie stellt Alltagsstrukturen um und dieser anhaltende Ausnahmezustand wird immer mehr zur neuen Normalität. Doch kann man hierbei überhaupt von einer alten und einer neuen Normalität sprechen?
Die Medien versprechen uns eine baldige Rückkehr zur alten Norm, wobei der Begriff meist oberflächlich, vorschnell und achtlos verwendet wird. Von vielen unwissenschaftlichen Quellen wird der Begriff „Normalität“ oft ohne jegliche Erklärung und Reflexion eingesetzt. Dabei polarisiert der Begriff und verleitet zu vereinfachenden Erklärungen. Zumeist wird er verwendet, ohne seine Bedeutung universal festgelegt zu haben.
Zudem wird seine Funktion immer öfter auf die des sogenannten „Clickbaitings“[1] reduziert. Wir haben uns in unserer Forschung auf den sozialen und subjektiven Ansatz der Normalität bezogen. Dieser beinhaltet die Annahme, Normalität sei eine Bezeichnung für das Vertraute und Gewöhnliche einer Alltags- und Lebensstruktur. Laut Thomas Rolf dient „der Normalitätsbegriff […] in der modernen Umgangssprache der Bezeichnung von Phänomenen, die dem Menschen selbstverständlich, gewöhnlich oder vertraut erscheinen.”[2] So ist Normalität etwas, was jeder individuell für sich selbst definieren muss. Durch veränderte äußere Umstände ändern sich nun jedoch das Leben und die Gefühle der Bevölkerung – aber ändert sich auch die Definition von Normalität?
Im Laufe unserer Forschungsübung haben wir gelernt, dass man mit dem Begriff „Normalität“ vorsichtig umgehen sollte. Schließlich beinhaltet dieser Begriff doch sehr feste und vertraute Vorgaben, die in einer Welt der Beschleunigung und des Wandels zwar Sicherheit geben können, jedoch selten für immer so bestehen bleiben. Es ist schwer, von einer dauerhaften Normalität zu sprechen, werden doch immer wieder neue Umstände „normal“ – seien es Elektrizität, Internet oder Digitalisierung und bald vielleicht der Einsatz von künstlichen Intelligenzen.
Dennoch macht der Wunsch nach beständigen Strukturen und einem geregelten Ablauf im Konsum, im Reisen und im sozialen Leben die Corona-Situation für viele so schwer. Dabei wurde bewusst, wie viel Normalität mit dem Alltag und gewohnten Abläufen zu tun hat. Durch den Lockdown und die Schließung der Schulen waren viele Familien gezwungen, auf Homeschooling umzusteigen und nach geeigneten Betreuungsmöglichkeiten von zu Hause aus zu suchen. Der anfangs noch als erholsam empfundenen Familienzeit und der Möglichkeit zur Selbstreflexion stehen auch zahlreiche negative Gefühle gegenüber, wie die Angst vor Tod und Ansteckung mit dem Virus, Einsamkeit, sozialer Abgeschiedenheit, Jobverlust und wirtschaftlichen Folgen.
Die Frage, ob sich nach der Pandemie etwas an den Mustern und Strukturen ändern wird, bleibt noch offen. Als Fazit konnten wir jedoch feststellen, dass sich die Menschen in unserem Feld eine Rückkehr zum vorherigen Normalmodus wünschen.
Die Entschleunigung durch den Lockdown und der Stillstand des schnellen Lebens während der „Corona-Krise“ konnte zwar in einigen Fällen als positiv empfunden werden, doch wiegen sie die negativen Gefühle und die Einschränkungen nicht auf. Um zur „alten“ Lebensweise zurückzukehren, werden die meisten Handlungen, die mit der Zeit vor Corona verbunden werden, trotz Covid19 und dem erhöhten Ansteckungsrisiko weiterhin ausgeübt. Denn so rückt das Gefühl des Normalmodus wieder näher.
[1]„Clickbating“ (dt.: „Klickködern“) bezeichnet eine Praxis, im Rahmen derer – durch einschlägige oder gar skandalisierte Begriffe in Überschriften, meist bei Artikeln und Online-Postings – auf ein Erreichen höherer Zugriffszahlen gezielt wird. Diese Definition ist angelehnt an: unternehmer.de. o.J. Online Marketing Lexikon: Clickbaiting. https://unternehmer.de/lexikon/online-marketing-lexikon/clickbaiting (abgerufen: 14.08.2020).
[2] Rolf, Thomas. 1999. Normalität: Ein philosophischer Grundbegriff des 20. Jahrhunderts. München: Wilhelm Fink Verlag.