(Re)Konstruktion von gender im Exotensport Jugger

(Re)Konstruktion von gender im Exotensport Jugger

Wie soziale Prozesse Geschlechterkategorien reproduzieren – soziale (Re)Konstruktion von gender im Exotensport Jugger

1 Einleitung

„Drei, zwei, eins – Jugg!“ so beginnt ein jeder Spielzug, der von rhythmischen Trommelschlägen vom Spielfeldrand aus begleitet wird und als Startsignal für die beiden Mannschaften gilt, so schnell wie möglich aufeinander zu zu rennen. Bei neugierigen Außenstehenden mag die Sportart Jugger zunächst Verwunderung auslösen, wenn sie die Spieler mit Waffen ähnelnden gepolsterten Stäben und schwingenden Ketten gegeneinander antreten sehen, doch der sich immer mehr etablierende Exotensport ist weit weniger gefährlich, als er aussieht. „Keine Angst, nur dein Stolz kann verletzt werden!“ wurde mir zu Beginn gesagt, und tatsächlich verursachen die Treffer der selbstgebauten gepolsterten Spielgeräte keine Verletzungen.

Doch wer spielt diese Sportart? Sind es „Kampfweiber“ oder „historische Krieger“? Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit und geschlechtertypischem Verhalten prägen unser Alltagsleben, vieles erscheint gegeben und selbstverständlich.

Im Sport stehen Körperlichkeit und Geschlechtlichkeit in direktem Zusammenhang und die als selbstverständlich angesehenen binären Geschlechterkategorien sind in diesem körperzentrierten Sozialsystem unmittelbar vorhanden (vgl. Hartman-Tews 2003: 24 u. 238). Vor dem Hintergrund der, im Gegensatz zu vielen anderen durch Trennung der Geschlechter gekennzeichnete Sportarten, gemischt-geschlechtlich organisierten Sportart Jugger untersuche ich, ob Geschlecht in bestimmten Situationen eine Rolle spielt und wie im Alltag, hier im Bereich des Freizeitsportes, Geschlechterkategorien (re)produziert werden. Um Fragen wie diesen auf den Grund zu gehen, untersuche ich in diesem Bericht die Herstellung des sozialen Geschlechts, im englischen als gender bezeichnet, wie in und durch sportliche Aktivität Geschlecht (re)konstruiert wird.

Nach Erklärung der für die Forschung wichtigen Theorierichtungen und Grundlagen der Sportart Jugger beschreibe ich mein methodisches Vorgehen und den Ablauf der Feldforschung mit Reflektion meiner eigenen Rolle, bevor ich die Ergebnisse der Forschung darstelle und interpretiere.

 

2 Theorie

2.1 Geschlechterforschung und die Konstruktion von Geschlecht

Innerhalb der Frauen- und Geschlechterforschung entwickelten sich seit Mitte der 80er Jahre unterschiedliche konstruktivistische Konzepte, welche die soziale Herstellung von Geschlecht thematisierten. Schon vorher wurde zwischen sex, dem biologischen Geschlecht, und gender, womit das soziale Geschlecht oder die geschlechtliche Identität bezeichnet wird, unterschieden (vgl. Gildemeister 2009: 4 u. Hartmann-Tews 2003: 18).

Die Geschlechterforschung unterscheidet zwischen verschiedenen Analyseebenen, der Mikro-, Meso- und Makroebene. Zur Mikro-Ebene werden Geschlechterbeziehungen und doing gender gezählt, auf der Meso-Ebene geht es um geschlechterdifferenzierende Strukturvorgaben, wie sie in Institutionen vorkommen, und die Marko-Ebene umfasst Geschlechterverhältnisse als Strukturzusammenhang der Gesellschaft (vgl. Hartmann-Tews 2006: 17). Die vorliegende Forschungsarbeit wurde zwar durch Beobachtungen auf der Mikro-Ebene durchgeführt, die Bedeutung und der Einfluss der Elemente der anderen Ebenen sind in meiner Analyse aber ebenfalls von Bedeutung, da soziales Handeln und soziale Strukturen sich wechselseitig beeinflussen und konstituieren. Soziostrukturelle Elemente bieten einen Rahmen, in welchem die Herstellung von Geschlecht stattfindet und können als Katalysatoren oder Stabilisatoren bestehender Geschlechterverhältnisse wirken (vgl. Hartmann-Tews 2003: 27).

Für empirische Untersuchungen der (Re-)Produktion von gender im Sport vor allem von Bedeutung sind dabei der ethnomethodologisch-interaktionistische Ansatz nach Garfinkel sowie das innerhalb der Geschlechterforschung weit verbreiteten Konzept des doing gender und das Performativitätskonzept von Judith Butler. Mit dem englischen Begriff des doing gender wird die Herstellung von Geschlechtsidentitäten und –Zugehörigkeiten als ein fortwährender Prozess und die Betrachtung von Geschlecht als Produkt vieler sozialer Konstruktionen bezeichnet. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern wird somit nicht vorausgesetzt, sondern als Ergebnis von Interaktionen betrachtet (vgl. Bereswill 2013: 117f. u. Hartmann-Tews 2003: 19).

Aus der mikrosoziologischen Perspektive beschäftigen sich ethnomethodologisch orientierte Ansätze mit der Herstellung von Geschlecht in alltäglichen Situationen, Begegnungen und Routinen in face-to-face Interaktionen. Allein durch die physische Anwesenheit von Personen, deren gegenseitige Wahrnehmung und Reaktion aufeinander, entsteht ein Prozess der Interaktion, in welchem Interaktionsteilnehmer identifiziert und klassifiziert werden (vgl. Gildemeister 2009: 8 u. 11 u. Riegraf 2010: 65). Der historisch bedingte soziokultureller Rahmen, bestehend unter anderem aus Stereotypen, sprachlichen Kategorien, Verhaltensgewohnheiten und institutionellen Ordnungen, bildet die Basis, auf der Interaktionen beruhen (vgl. IQ2 Hirschauer 2014: 1). Im Prozess der Herstellung von Zweigeschlechtlichkeit werden Alltagsroutinen mit Rückgriff auf gemeinsame, oft unbewusste Wissensbestände und Selbstverständlichkeiten angewandt, in denen das bipolare Muster fest verwurzelt ist (vgl. Riegraf 2010: 66 u. 68).

 

2.2 Sport und Geschlecht

Die Wahrnehmung des Körpers und des Geschlechts stehen im Alltag in einem engen Verweisungszusammenhang (vgl. Meuser 2010: 129f.). Dabei werden Geschlechtszuschreibungen durch sogenannte „Gender Marker“ wie Kleidung oder non-verbale Verhaltensweise wie Mimik und Gestik vorgenommen (vgl. Riegraf 2010: 68). Da der Körper im Sport eine wichtige Rolle spielt, sind auch kulturell und gesellschaftlich geformte Körperbilder, konstituiert durch soziale Geschlechtertypisierungen, von großer Bedeutung (vgl. Baur 1999: 50f.). Obwohl im Gegensatz zu in den 50er und 60er Jahren durchgeführten Forschungsarbeiten zu Unterschieden zwischen den Geschlechtern bezüglich Eigenschaften, Fähigkeiten und Charaktermerkmalen ein Rückgang von als geschlechtstypisch bezeichneten Merkmalsausprägungen zu verzeichnen ist, nehmen Stereotype im Alltagswissen bewusst und unbewusst Einfluss (Gildemeister 2009: 3). So werden mit Männlichkeit vielfach Kraft und Durchsetzungsvermögen sowie Merkmale wie aktiv, unabhängig, rational und aggressiv assoziiert während das Bild der Weiblichkeit von Ästhetik und körperlicher Attraktivität geprägt ist, sowie Frauen mit Attributen wie emotional, sanft und als eher passiv kategorisiert werden (vgl. Baur 1999: 50f. u. Gildemeister 2009: 3). Dies scheint sich auch immer noch in der geschlechtertypischen Beteiligung im Sport widerzuspiegeln. In Sportarten „die einen harten körperlichen Einsatz in direkter Auseinandersetzung mit Gegnern verlangen“ (Baur 1999: 71), wie in vielen Mannschaftssportarten und Kampfsportarten, sind Frauen teils stark unterrepräsentiert.

 

3 Grundlagen der Sportart Jugger

Die Sportart Jugger basiert auf dem australischen postapokalyptischen Endzeitfilm „Die Jugger – Kampf der Besten“, im englischen Original „The Blood of Heroes“, aus dem Jahr 1989. Darin ziehen Jugger-Mannschaften nomadengleich von Dorf zu Dorf und treten wie Gladiatoren in brutalen Wettkämpfen gegeneinander an, um als Sieger ihren Lebensunterhalt zu verdienen und einen Hundeschädel als Trophäe zu erhalten. Aus Ideen, die Kampfszenen aus dem Film nachzuspielen, entstanden beinahe zeitgleich erste Mannschaften in Berlin und Hamburg. Im Laufe der Zeit wurden Regelwerke und gepolsterte Spielgeräte für die ungefährliche Ausübung des Sports weiterentwickelt und verbessert, neue Mannschaften kamen hinzu, regionale und deutschlandweite Turniere wurden ausgetragen. Mittlerweile hat Jugger sich international von Deutschland aus verbreitet und 2014 fand die erste Weltmeisterschaft in Deutschland statt (vgl. IQ5).

Die Mannschaftssportart Jugger vereint Elemente aus Sportarten wie Fechten, Rugby oder auch dem Ringen. Zwei Mannschaften aus je fünf Spielern bestehend treten in mehreren Runden gegeneinander an. Die Spielzeit wird in sogenannten Steinen, dies sind 1,5-Sekunden lange Trommelschläge, angegeben. Zu Beginn eines Spielzuges laufen je vier Spieler mit gepolsterten Sportgeräten, den Pompfen, ausgestattet aufeinander zu und versuchen sich in Zweikämpfen abzutippen. Wer von einer Pompfe berührt wurde muss sich hinknien, 5 Zählzeiten abwarten und darf erst danach wieder aufstehen und weiterspielen. Ziel des Spiels ist es, dass der fünfte Spieler, der Läufer oder auch Qwik genannt, den Spielball Jugg, der einem Hundeschädel nachempfunden ist, aus der Mitte des Spielfeldes im Tor (Mal) auf dem Boden der gegnerischen Mannschaft platziert. Nur den beiden Läufern ist es erlaubt, sich gegenseitig direkt durch Körpereinsatz wie Festhalten und Zu-Boden-Ringen am Weiterkommen zu hindern. Welche Mannschaft nach Zeitablauf von meist zwei Halbzeiten mit je 100 Steinen Länge die meisten Punkte erzielt hat, gewinnt (vgl. IQ3 u. IQ4).

Die Mannschaften sind meist gemischt-geschlechtlich organisiert, was auf einen im Allgemeinen geringen Frauenanteil, die Vorbildwirkung des Films, eine gewisse Anarchie im Gegensatz zu anderen Sportarten und den Spaß-Faktor zurückgeführt wird. Von zentraler Bedeutung sind gute Kommunikation unter den Spielern sowie Fairness und Respekt.

 

4 Forschungsdesign

Um Einsichten in Herstellungsprozesse von Geschlecht zu gewinnen wird versucht, die „eigene Gesellschaft wie eine fremde Kultur zu betrachten“ (Riegraf 2010: 65). Dies wird in der ethnologischen Feldforschung durch die Methode der teilnehmenden Beobachtung ermöglicht, indem der/die Ethnologe/in sich den Menschen, deren Verhalten zu untersuchen ist, anzupassen versucht (vgl. Hauser-Schäublin 2003: 43). Teilnehmende Beobachtung besteht aus widersprüchlichem Verhalten, denn „Teilnahme bedeutet Nähe, Beobachten Distanz“ (Hauser-Schäublin 2003: 38). Sie basiert auf sozialen Beziehungen zu den zu untersuchenden Menschen und hängt von der jeweiligen Situation vor Ort und den Menschen, die daran teilnehmen und miteinander interagieren ab und ist somit nicht genau gleich wiederholbar. Durch bewusste Aufmerksamkeit wird versucht, selbstverständliches und normal erscheinendes wahrzunehmen. Das beobachtete Soziale wird als Richtlinie für das eigene Verhalten übernommen. Neben der physischen Präsenz ist auch die soziale Nähe, die neben Sehen und Hören auch das Einfühlen und Mitfühlen in die Menschen bedeutet, für ein vertieftes Verstehen von großer Bedeutung (vgl. Hauser-Schäublin 2003: 34 u. 37f.).

Als wichtiges Element steht die teilnehmende Beobachtung im Mittelpunkt meiner methodischen Herangehensweise. Nach Teilnahme an Trainings und Beobachtungen vom Spielfeldrand aus fertigte ich direkt danach Gedächtnisprotokolle an, da ich währenddessen keine Notizen im Feld machen konnte und wollte, da ich immer im Geschehen involviert war oder nichts verpassen wollte. Außerdem sammelte ich visuelles Material in Form von Fotos. Meine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen ergänzte ich durch qualitative leitfadengestützte Interviews mit sechs SpielerInnen und Team-LeiterInnen unterschiedlicher Spielerfahrung, die danach transkribiert und ausgewertet wurden, sowie spontanen informellen Gesprächen mit SpielerInnen während und nach Trainings und Spielen. Meine InterviewpartnerInnen boten mir dabei verschiedene Blickwinkel: entweder eine persönliche Sicht eines Einzelnen über sich und andere oder eine teils generalisierte Sicht der erfahreneren SpielerInnen über andere, durch lange Mitgliedschaft im Verein und Erfahrungen von Turnierteilnahmen geprägt. Alle Befragten waren dabei sehr offen für Interviews und Nachfragen. In diesem Bericht habe ich die Namen der SpielerInnen durch Buchstaben und Nummern ersetzt um Anonymität zu gewährleisten. Außerdem beschäftigte ich mich mit schriftlichen Materialien wie dem Jugger-Regelwerk und Internetauftritten von deutschen Jugger-Vereinen sowie dem auf dem die Sportart basierenden Film „Jugger – Kampf der Besten“ und ließ auch dies in meine Forschung einfließen.

 

5 Durchführung der Forschung

5.1 Allgemeiner Ablauf und Akteure

Meine Feldforschung führte ich hauptsächlich auf dem Sportplatz Ziegelwiese in Halle (Saale) vom 05.06.15 bis 05.07.15 durch. Der große Sportplatz umfasst auf der einen Seite mehrere Tennisplätze, die dann von einer großen Rasenfläche, welche durch einen Gehweg getrennt wird und verschiedensten SportlerInnen zur gleichen Zeit Platz bietet, abgelöst wird. Alle Sportgruppen wie Fußballer, Leichtathleten und Jugger spielten mit großem Abstand voneinander, um sich nicht gegenseitig zu stören.

Der Zugang an das Forschungsfeld führte mich zunächst über Email-Kontakt mit dem Vorsitzenden des Vereins „Jugger Halle e.V.“ und einer Terminvereinbarung zur Teilnahme am Universitätssportkurs „Jugger“. Nachdem ich vom Spielleiter vorgestellt wurde und kurz allen SpielerInnen mein Forschungsvorhaben mit Betonung von Anonymmität und Freiwilligkeit erklärt hatte, nahm ich sofort und jeden Freitag von 18:00 bis 19:30 Uhr an den Trainings des Kurses teil. Zusätzlich nahm ich mit deren SpielerInnen auch am Universitätssportfest und dem 2. Spieltag der 2. Mitteldeutschen Meisterschaft im Juggern in Halle teil. Den institutionellen Rahmen der Forschung bildete somit die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit dem vom Universitätssportzentrum angebotenen Sportkurs „Jugger“. Die Bereitstellung der Spielausrüstung sowie die TrainerInnen erfolgten durch den Verein „Jugger Halle e.V.“.

Die für die Forschung wichtigen Personen waren Jugger-SpielerInnen des seit April 2015 neu bestehenden Universitätssportkurses und deren KursleiterInnen bei den Trainings sowie zusätzlich SpielerInnen der in Halle ansässigen Vereine „Jugger Halle e.V.“ und „Anima Equorum“ beim Unisportfest sowie SpielerInnen anderer deutscher Jugger-Mannschaften bei der 2. Mitteldeutschen Meisterschaft. Alle Personen habe ich auf zwischen 20 und 35 Jahre alt geschätzt, sie waren hauptsächlich Studenten oder schon im Berufsleben stehend. Von Relevanz waren auch nicht-menschliche Akeure. Dazu zählen die Spielutensilien wie der Spielball Jugg, der wie ein Hundeschädel aus Schaumstoff geformt ist, die Tore des Spiels (Male) aus Schaumstoff-Ringen, die Spielgeräte, genannt Pompfen, welche es in verschiedenen Ausführungen gibt. Dazu gehören Stab, Langpompfe, Kurzpompfe und Schild, zwei Kurzpompfen und Q-Tip. Die Kette stellt eine Sonderform dar, denn sie darf im Gegensatz zu den anderen Pompfen nur von einem Spieler pro Team geführt werden. Außerdem wichtig sind Leibchen zum Überziehen und Aufteilen der SpielerInnen auf zwei Mannschaften beim Training, ein blaues Seil zum Abstecken des Spielfeldes, eine Pauke für die Zähleinheiten von 1,5 Sekunden, genannt Steine, die den Takt zum Abzählen der Strafzeiten vorgeben. Außerdem die Sportkleidung, das Regelwerk des Spiels und der Zeitplan, Rucksäcke und Taschen, Getränke, Verpflegung und das Wetter, da die untersuchten Situationen draußen stattfanden.

 

5.2 Meine Rolle in der Forschung

Ich spielte mehr als eine passive Zuschauerrolle. Von Anfang an wurde ich direkt in das Spiel eingebunden, nahm wie die StudentInnen an den Aufwärm-Übungen, Trainings, dem Unisportfest und einen Tag an der Mitteldeutschen Meisterschaft teil. Durch die sofortige Teilnahme am Training konnte ich nicht nur Abläufe schneller verstehen und mich besser in die SpielerInnen hineinversetzen, sondern auch neue Forschungsfragen entwickeln. Zu Beginn lag mein Fokus darauf, das Spiel zu erlernen, die SpielerInnen kennenzulernen und Vertrauen zu ihnen aufzubauen. Es fiel mir leicht, mich schnell in die Gruppe zu integrieren. Das Zugehörigkeitsgefühl und die Akzeptanz durch die anderen sind sicher auf die Homogenität der aus StudentInnen bestehenden Gruppe, die erst seit kurzem Jugger spielten und mir somit ein leichter Einstieg in den Sport möglich war, aber auch die lockere Spielatmosphäre, in der sich alle geduzt und mit Vornamen angesprochen haben, zurückzuführen. Dies zeigte sich beispielsweise darin, dass ich wie die anderen nach Trainingsende noch zum gemütlichen Biertrinken eingeladen wurde und mir Einzeltraining sowie die Teilnahme am Unisportfest angeboten wurden. Allerdings wurde ich auch mit Erwartungen oder Wünschen konfrontiert, immer beim Training mitzumachen und an Wettkämpfen teilzunehmen sowie Interessierten meine Forschungsergebnisse zur Verfügung zu stellen.

Trotzdem unterschied sich meine Rolle von den SpielerInnen, da ich zusätzlich verschiedene Rollen einnahm, wie die der Fotografin oder Beobachterin. Dadurch fühlte ich mich mehr in der Forscherrolle und auch etwas von den anderen distanziert als beim Spielen. In meiner Rolle als Spielanfängerin bekam ich immer wieder nützliche Tipps von verschiedenen SpielerInnen, wurde aber nicht extra geschont und war sofort im Spiel integriert.

Ein nicht zu unterschätzender Einfluss ist auch durch mein eigenes Geschlechts bedingt. Nach Judith Stacey kann es keine neutrale Beobachtung geben und eine selbstreflexive Haltung der eigenen Position und Handlungen sind bedeutend (vgl. Waldis 2009: 144). In meiner Rolle als Frau konnte ich die Erfahrung machen, dass mir einmal von einem Mann eine leichtere Pompfe für das Training angeboten wurde, wie schon zuvor einer anderen Spielerin, obwohl ich kaum einen Gewichtsunterschied feststellen konnte und die Spielgeräte sowieso aus leichtem Material gebaut sind. Als Frau hatte ich das Gefühl, in der von Überzahl der Männer gekennzeichneten Gruppe gern gesehen zu sein, da Frauen immer in der Unterzahl waren und „es mit Frauen angenehmer zu spielen“ (Aussage M1) sei. Einmal ließ mich ein Spieler absichtlich einen Spielzug gewinnen indem er sagte: „Schlag mich ab“. Außerdem machte ich bei den Interviews die Beobachtung, dass ein Mann beim Interviewen von Männern vielleicht andere Antworten erhalten hätte als ich, da ich feststellte, dass Männer mir gegenüber beispielsweise auf die Frage nach geschlechterbezogenen Unterschieden, die eine Rolle für das Jugger-Spiel spielen könnten, oft ausweichend reagierten und Frauen bezüglich möglicher körperlicher Benachteiligungen wie Kraftunterschieden nicht diskriminieren wollten.

 

5.3 Ablauf Training

Die von mir beobachteten sozialen Situationen fanden unter anderem während den Trainingsstunden statt, daher beschreibe ich zunächst den allgemeinen Ablauf einer Trainingsstunde des Universitätssportkurses. Schon vor 18 Uhr trafen die ersten SpielerInnen ein, begrüßten sich, warteten auf die restlichen SpielerInnen und unterhielten sich oder halfen den Team-LeiterInnen beim Aufbau des Spielfeldes. Meist begann das Training erst kurz nach 18 Uhr, da noch auf später eintreffende SpielerInnen gewartet wurde. Das Aufwärmen bestand aus lockerem Einlaufen um das Spielfeld mit Variationen wie Seitwärtslaufen oder Kniehebelauf und wurde in einem großen Kreis stehend mit Dehnübungen abgeschlossen. Anschließend daran folgten Übungen zum Training von Koordination oder Reaktionsfähigkeit durch schnelle Abtipp-Spiele mit Pompfen. Danach folgten Erklärungen vom Teamleiter zum jeweiligen Trainingsschwerpunkt des Tages, wie beispielsweise dem Anti-Ketten-Training oder Strategietraining mit Vorführung der jeweiligen Übungen durch die beiden TeamleiterInnen. Nach diesem speziellen Training folgte das eigentliche Jugger-Spiel, wofür man sich eine Pompfe und Spielposition aussuchen konnte. Die SpielerInnen wurden dafür durch Abzählen und Vergabe von gelben Trikots zur leichteren Unterscheidung auf zwei Mannschaften aufgeteilt. Während der gesamten Trainingszeit gab es auch immer wieder kurze Pausen zwischen den Einheiten, die für weitere Erklärungen oder Ankündigungen durch den Teamleiter oder als Trinkpause genutzt wurden. Nach Ende der offiziellen Trainingszeit um 19:30 Uhr blieben meist noch viele SpielerInnen da um „Zombie“, ein Spiel, bei dem jeder gegen jeden kämpfen und seinen Gegenspieler frei wählen kann, zu spielen oder allgemein weiter zu trainieren. Das Ende eines Trainings streckte sich also über einen längeren Zeitraum und wurde endgültig durch den Abbau des Spielfeldes und Transport der Spielgeräte zum Auto des Teamleiters beendet.

 

5.4 Soziale Situationen

Der Fokus meiner Beobachtungen lag einerseits auf Situationen, die den SpielerInnen Wahlmöglichkeiten ließen wie die Auswahl der Pompfe und der Umgang damit, die Wahl der Spielposition und die Wahl der TrainingspartnerInnen oder GegnerInnen im Spiel. Als besonders interessant stellten sich dabei die Spielposition des Läufers sowie die Wahl und Nutzung der Kette heraus, da diese nur für ein/n SpielerIn pro Mannschaft erlaubt ist. Andererseits waren das Spielverhalten und verbale sowie non-verbale Kommunikation von großer Bedeutung.

 

6 Ergebnisse

Zunächst beschreibe ich die partizipierenden Akteure sowie die Organisation des Jugger-Sports bevor ich auf die Rolle des Körpers eingehe und Verhalten, Kommunikation und soziale Situationen mit Wahl der Pompfen, Spielpositionen und GegnerInnen analysiere.

 

6.1 Partizipation und Aufgabenverteilung

Wie im Film bestehen Jugger-Teams in der Regel überwiegend aus Männern, wobei es auch Ausnahmen mit reinen Männer-Teams und einzelne Teams mit hohem Frauenanteil gibt. Meist ist eine Quote mit einem Frauenanteil von 30% normal. Unter den Spielerinnen wären „richtige Kampfweiber“ (Aussage M1), aber auch zierliche Frauen, die dann die Rolle des Läufers, der schnell und wendig sein muss, übernehmen.

Bei Turnieren ist die Teilnahme von Frauen jedoch meist noch geringer und je höher ein Team in der Rangliste der deutschen Jugger-Liga angesiedelt ist, desto weniger Frauen sind in der Mannschaft vertreten. Als Gründe dafür wurde mir genannt, dass in Turnieren ein „gewisser Biss“ bezüglich der Entscheidungsfreudigkeit notwendig sei und die meisten Frauen „auf eine bestimmte Art und Weise nicht spielen“ (Zitat M1) wollten. Männer seinen wettkampforientierter als Frauen. Dies zeigte sich auch im Einzelinterview mit einer Frau, die betonte, dass sie Sieg oder Niederlage nicht so ernst nähme und ihr der Spaß und Lerneffekt wichtiger sei. Eine Frau sagte mir aber auch, dass die Teilnahme an Turnieren anstrengend sei und man viel Kraft benötige um sich gegen überwiegend männliche Gegner zu behaupten, sodass Frauen aufgrund ihrer oft schwächeren körperlichen Konstitution im Nachteil sein könnten. Bei den Anmeldungen zum Universitätssport waren zwar viele Frauen dabei, über das Semester hat sich deren Anzahl aber verringert. Einige Frauen kamen auch nur sporadisch zu den Trainings, was laut einer Spielerin dazu führte, dass sie eher im Rückstand des Lernfortschritts wären. Was nie erwähnt wurde, aber vielleicht doch eine Rolle spielt ist die Tatsache, dass zumindest im Sommer bei jedem Wetter draußen gespielt wurde. Meine Vermutung ist, dass Frauen im Gegensatz zu Männern vielleicht eher ungern im Regen und Schlamm sowie bei glühender Hitze spielen oder Verletzungen oder blaue Flecke befürchten.

Reine Männermannschaften seien laut Aussage eines Spielers nur für Männer, die Leistungssport betreiben wollen. Dies impliziert, dass Frauen zu einem lockereren Spiel beitragen und es durch ihre Partizipation weniger Konkurrenzdenken gibt. Meine Vermutung bestätigte sich in den Aussagen, dass Frauen gern gesehen seien, zu einer besseren Atmosphäre und einem „anderen“ Umgang im Team beitragen, oft ihren „eigenen Einfluss“ mit in jede Mannschaft bringen und einen beruhigenden Einfluss auf das Spiel hätten (Aussagen M15). Männer äußerten sich als sehr froh darüber, in gemischt-geschlechtlichen Mannschaften zu spielen.

In manchen Vereinen mit vielen SpielerInnen werden je nach Ehrgeiz und Erfahrung Erst- und Zweitteams gebildet, auf die sich die SpielerInnen je nach Wettkampforientierung, Einstellung und Spielspaß aufteilen können, wobei hierbei die Frauen eher im Zweitteam, welches weniger Wert auf Leistung legte und damit eine entspanntere Spielstimmung aufweise, vertreten seien.

Allgemein zeichnen sich die SpielerInnen oft durch eine hohe Affinität zur Computerspielszene aus, haben Erfahrung im LARP (Live Action Role Playing) oder schon Vorerfahrung in verschiedenen Kampfsportarten, bevor sie meist über Freunde und Mundpropaganda zum Jugger gekommen sind.

Die Frauen, mit denen ich gesprochen habe, waren alle schon vor dem Beginn mit Jugger sportlich im Frauenfußball, Kendo, Stabhochsprung, Hammerwerfen, im Fitness-Center oder Jogging aktiv. Auch die meisten Männer waren schon vor Jugger sportlich aktiv und haben Kampfsport, Schwertkampf oder Mannschaftssportarten betrieben, manche bezeichneten sich aber auch als „Couchpotato“ oder haben vorher noch nie professionell Sport betrieben sondern eher Rollenspiele gespielt. Vorerfahrungen aus dem Kampfsport bringen zwar eine bessere Fußstellung, bessere Reaktionszeiten und mehr Beweglichkeit, können aber auch nachteilig sein denn beim Jugger zählen nicht Kraft, sondern Präzision und Schnelligkeit und manchen KampfsportlerInnen fällt diese Umstellung schwer.

Als Gründe, warum sie Jugger spielen, nannten mir Frauen, dass sie es mochten, dass zu Beginn alle auf dem gleichen Niveau anfingen. Auch ein Mann nannte die relativ geringe Einstiegshürde als ideal, aber er betonte auch, dass egal welche körperliche Konstitution Menschen mitbringen, für jede/n eine Spielposition dabei sei.

Die Hierarchie im Universitätssport-Team und unter den SpielerInnen war flach und nach einer Weile höchstens durch Trainingsvorsprünge gekennzeichnet. Klarer war die Rollenverteilung im Vereinsleben oder beim Turnier. Obwohl mir zumindest von Männern zunächst gesagt wurde, dass es keine großen Unterschiede zwischen den Geschlechtern gäbe, gab es doch eine gewisse geschlechterspezifische Aufgabenverteilung. Bei einem Verein waren für die Taktikstellung immer nur Männer verantwortlich. Dies führten sie darauf zurück, dass Frauen bisher keine Eigeninitiative für diese Aufgabe gezeigt hätten, es eine verantwortungsvolle, stressige und mitunter undankbare Aufgabe sein kann, wie M15 deutlich machte: „Wenn was schief läuft, bis du Schuld. Wenn’s gut läuft, dann war’s natürlich die Pompfe.“ Außerdem muss man den SpielerInnen richtiges Feedback geben, lernt aber gleichzeitig auch sehr viel über die SpielerInnen und das Spiel. Auch bei einem anderen Team übernahm ein Mann bei einem Turnier die Aufgabe, die SpielerInnen für die Mannschaftsaufstellung auszuwählen. Außerdem wurden alle Ansagen während des Turniers und die Siegerehrung von einem Mann durchgeführt. Hierbei muss natürlich berücksichtigt werden, dass Frauen meist in der Unterzahl sind und somit bei angenommener prozentual gleicher Verteilung von ihnen zahlenmäßig weniger solcher Positionen besetzen werden könnten, aber auch nicht müssten.

Ein sehr klarer Unterschied ist jedoch bei der Position des Vereinsvorsitzes oder der Vereinsleitung zu erkennen. Sowohl in den von mir befragten Vereinen als auch bei anderen im „Jugger Wiki“ aufgeführten Vereinen hatten ausnahmslos Männer das Amt des Vorsitzenden inne (vgl. IQ1). Dies ist aber nach einer Untersuchung in vielen Sportvereinen der Fall:

„Im Organisationsbereich ist die Personalstruktur der Sportvereine männerdominiert, Frauen stellen nur eine Minderheit in den Ehrenämtern des Organisationssektors. […] Eine besonders gravierende Unterrepräsentation der Frauen findet sich in der Position der/des Vorstandsvorsitzenden; in über 90% der Sportvereine ist diese Position von Männern besetzt.“ (Baur 1999: 111).

Dabei scheint auf stereotype Annahmen von Weiblichkeit zurückgegriffen zu werden, wonach Frauen ungern Verantwortung übernehmen oder sich repräsentieren würden (Hartmann-Tews 2003: 175). Im Gegensatz zur Repräsentation nach außen scheinen sich die Aufgaben intern aber auch anders zu verteilen denn bei einem Verein liege die Hauptlast der Organisation, die auch Planungen der Anreisen auf Turniere umfasst, bei einer Frau. Und bei den auf einem Turnier anfallenden Aufgaben wie die des/der LinienrichterIn oder des Trommelns und Zählen der Zählzeiten verteilen sich die Aufgaben auf beide Geschlechter.

 

6.2 Rolle des Körpers

Auch wenn Jugger prinzipiell von jedem/r gespielt werden könne gibt es körperliche Voraussetzungen, wie Schnelligkeit und Kraft, die ebenso wie eine gute Kondition und Fitness von Vorteil sein können. Außer im Läuferkampf findet kein direkter Körperkontakt statt, man tippt sich nur mit den Pompfen ab und die Trefferzone ist der ganze Körper bis auf Kopf und Hände.

Im Zusammenhang zwischen Geschlecht und Körper spielen materielle Artefakte wie geschlechtlich codierte Kleidungsstücke eine wichtige Rolle. Sie können zur Neutralisierung der Geschlechterdifferenz beitragen oder durch die (Nicht-)Anwendung dekorativer Inszenierungsmittel Geschlecht konstruieren (vgl. Hartmann-Tews 2003: 235f.) Zu den Zeichen des genderns werden neben Mode und Frisur auch geschlechtlich codierte Mittel wie Accessoires und Schmuck sowie „die Betonung der sekundären Geschlechtsmerkmale durch enganliegende Kleidung“ gezählt. (Hartmann-Tews 2003: 131).

Die Teilnehmenden des Universitätssports trugen normale Sport- oder Freizeitkleidung. Die Frauen trugen meist enganliegende Tops aber auch normalgeschnittene T-Shirts und kurze Shorts. Eine Frau betonte, dass sie normalerweise Leggins trug, sich dann aber eine kurze, weite Hose zum darüber ziehen gekauft habe, auch wegen Fußballern am Feld nebenan, wohl um keine Blicke auf sich zu ziehen oder die Geschlechterdifferenz zu neutralisieren. Die meisten Männer trugen dunkle oder schwarze T-Shirts, oft mit Fantasy-Aufdrucken, und sowohl knielange wie auch längere dunkle Hosen und Turnschuhe, aber keine spezielle Sportkleidung. Im Unterschied dazu trugen die VereinsspielerInnen eigene Vereinstrikots, die beiden Teams in Halle entweder rote Shirts mit Vereinslogo, Name und Nummer und gleichfarbige kurze Hosen oder in schwarz-gelb gehaltene Vereinskleidung sowie Knieschoner.

Schmuck wie Ketten und Ohrringe sollten vor dem Spiel wegen Verletzungsgefahr abgenommen werden, trotzdem trugen die SpielerInnen gerade auf der Mitteldeutschen Meisterschaft eine Reihe von anderen Accessoires. Aufgrund der enormen Hitze und Sonneneinstrahlung trugen Frauen wie Männer Sonnenbrillen, Strohhüte und Tücher auf den Köpfen und liefen teils barfuß herum. Als ebenso geschlechtsneutral nahm ich Piercings und bunte Stoffarmbänder von Konzerten und Festivals wahr. Ein Team fiel durch rote und schwarze Streifen als Gesichtsbemalung auf und ein Spieler trug eine schwarze Maske aus Leder, die wohl den Zweck haben sollte, seine Mimik vor dem GegnerInnen zu verbergen und so bessere Chancen im Spiel zu haben. Auffällig war, dass in einem Team ein Mann genauso wie zwei der drei anwesenden Frauen seine Fingernägel in der Teamfarbe Blau lackiert hatte.

Auf der Mitteldeutschen Meisterschaft konnte ich außerdem eine große Diversität an Typen und Frisuren unter den SpielerInnen feststellen. Rote Dreadlocks ebenso wie kurze Haare mit Ohrring und Ohr-Piercings, einem ernsten Blick und einem eher burschikosen Auftreten, eine quirlige Frau mit langen roten Haaren, aber auch eine kleine, mädchenhaft wirkende Frau die viel gelacht hat. Auch bei den Männern gab es eine große Diversität an Typen: von kurzen über lange Haaren und Sidecuts, kleine und große Männer, athletisch und schlank oder mit Ansätzen eines Bierbauches. Die Aussage, dass Jugger ein Sport für Individualisten sei, schien sich meiner Meinung nach in der Darstellung des Körpers widerzuspiegeln.

 

6.3 Verhalten und Kommunikation

Der Umgang unter den SpielerInnen war von Höflichkeit und Respekt geprägt, man entschuldigte sich bei unabsichtlich harten Treffern, äußerte Lob und Kritik durch Zunicken, Klatschen, Tipps und Verbesserungsvorschläge. Bezüglich der Lautstärke fiel mir auf, dass Männer beim Turnier auf dem Spielfeld oft lauter waren als Frauen. Dies zeigte sich in Schlachtrufen, Anfeuerung des Teams, Kampfsprüchen, Rufen des Team-Namens oder darin, dass sie ihr Missfallen verbal ausdrückten, wenn sie getroffen wurden. Frauen würden dies zwar auch machen, aber deutlich seltener und es hänge auch vom jeweiligen Charakter ab.

Bezüglich des sprachlichen Ausdrucks war auffallend, dass Frauen beispielsweise ebenso wie Männer als „Läufer“ anstatt „Läuferin“ bezeichnet wurden. Bei den Interviews fiel mir auf, dass Männer neutraler und zurückhaltender auf Fragen nach geschlechterspezifischen Unterschieden antworteten und häufig sagten, dass Geschlecht keinen oder wenig Einfluss im Jugger-Sport hätte. Ich vermute, dass einige aufgrund von sozialer Erwünschtheit Fragen anders beantworteten und „normative Erwartungen der Gleichberechtigung internalisiert“ (Hartmann-Tews 2003: 228) hatten. Sie überlegten auch oft kurz bevor sie antworteten und achteten auf eine bedachte Wortwahl indem Frauen oft als „Damen“ im Gegensatz zu Männern als „Kerle“ bezeichnet wurden und allgemein auf eine respektvolle Sprache achteten. Frauen schienen mir offener und zeigten sehr wohl geschlechtlich bedingte Unterschiede auf. Auf die Frage, warum bei Turnieren so wenige Frauen dabei seien sagte W1 beispielsweise:

„Ich glaube auch des hat was mit Kraft zu tun. Dass du dich halt irgendwann einfach nicht mehr gegen Gegner durchsetzen kannst, die dich einfach nur noch mit Kraft runterspieln. […] Also in dem Moment, wenn du ne Frau in der Linie hast, hast du DA spätestens n Nachteil.“

Die Diskrepanz zwischen Aussagen und Handlungen wird im sozialen Verhalten deutlich. Männer gingen oft selbstbewusster und aggressiver in den Kampf, vor allem, wenn sie gegen andere Männer antraten und stellten sich eher Herausforderungen. Sie kämpften im Gegensatz zu den Frauen auch nach dem Spiel oder außerhalb der Trainingseinheiten spielerisch miteinander und man könne Männer auch „besser aus der Reserve locken“ (Aussage M2). Männer stellten sich anders in Zweikämpfe, hätten eine höhere Schlagfrequenz und spielten mit mehr Krafteinsatz und werfen sich auch „gerne mal mit vollem Körper rein und auf den Boden“ (Aussage M15).

Frauen hingegen waren und wurden mir als weniger aggressiv beschrieben, sie überlegten länger und planten ihre Angriffe besser, waren eher defensiv orientiert und spielten lieber gegen SpielerInnen gleichen Niveaus. Ihnen waren Lerneffekt und Spielspaß wichtiger, sie wollten aber auch gewinnen. Ein Mann sagte mir, dass er lieber mit Frauen trainiere, da diese weniger erfolgsorientiert wären. Frauen hätten den besseren Überblick als Männer, sie warteten ab während „Männer einfach drauflos pompfen“ (Zitat W12), spielten kontrollierter und auch ein bisschen disziplinierter.

Beim Turnier fiel mir außerdem auf, dass die Spielerinnen weniger zwischen den Zelten und verschiedenen Teams umherliefen und sich mit anderen Teams unterhielten, sondern eher bei ihrem Team blieben. Im Gegensatz zu den Männern gab es auch Frauen, die zusahen, aber nicht mitspielten. Beim Universitätssportfest bestanden die Zuschauer zu zwei Dritteln aus Frauen, die sich zu zweit oder dritt auf dem Rasen sitzend unterhielten, in ihre Handys tippten oder beim Spiel zusahen.

Von besonderer Wichtigkeit ist auch der Blickkontakt, da man an den Augenbewegungen die Aktion des Gegenübers voraussehen kann. Geschlechterunabhängig entwickelten die SpielerInnen mit der Zeit ein „Pokerface“ oder einen „starren Blick“. „Die besseren Spieler lassen sich da nich viel anmerken. Die schauen dir eiskalt ins Auge und schlagen zu“ (Zitat M15). Wie wichtig die Mimik ist wurde mir anfangs bewusst, als mich ein Spieler mit „Zeig nicht, dass du Angst hast!“ auf meinen Gesichtsausdruck aufmerksam machte.

Bezüglich der Fairness im Spiel war für mich kein Unterschied zwischen den Geschlechtern erkennbar und Aussagen bestätigten, dass Fairness am meisten unter dem Ehrgeiz leide und nicht mit dem Geschlecht zusammenhinge.

 

6.4 Ausgewählte soziale Situationen

Im Folgenden geht es um die Wahl der Spielgeräte, Spielpositionen und der TrainingspartnerInnen oder GegnerInnen.

Aussagen zur geschlechterspezifischen Wahl der Pompfen waren oft unterschiedlich oder mir wurde gesagt, dass man das nicht so einfach nach Geschlecht unterscheiden könne. Bei Anfängern werde viel ausprobiert und der Stab sei eine „klassische Männer-Pompfe“ (Zitat W1). Somit sind generelle Aussagen schwierig, aber meine Erkenntnisse haben sich im Laufe des Forschungsprozesses verändert. Wo ich anfangs noch klare Unterschiede auszumachen versuchte wurde mir später klar, dass es nicht immer vom Geschlecht abhängt, welche Pompfe mal wählt. Es kommt mehr auf die Reichweite der Arme an und darauf, Reichweitenunterschiede auszugleichen.

Trotzdem gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Schild und Kurzpompfe sowie die Verwendung von zwei Kurzpompfen werden so gut wie nur von Männern gewählt. Dies wurde auf eine Affinität zu Mittelalterkämpfen zurückgeführt oder dass Männer „ein bisschen den historischen Krieger“ (Zitat M1) spielen möchten und Schild und Kurzpompfe an Kampfszenen aus Filmen erinnerten. Frauen hingegen wählten die Pompfen eher danach aus, was für sie am besten funktioniert. Häufig spielen sie mit dem Q-Tip, der die größte Reichweite hat und auch gut zur Verteidigung und zum Doppelpinnen der Gegner geeignet ist.

Je nach Spielposition hat man andere Aufgaben. Als Pompfer hat man Zweikämpfe zu gewinnen und den Läufer vor den Gegnern zu schützen und ihm dabei zu helfen, den Jugg zu bekommen und zum Mal zu bringen. Zu den wichtigsten Spielpositionen gehören die des Läufers und Kettenspielers, daher habe ich mich auf diese beiden konzentriert.

Als LäuferIn, genannt Qwik, hat man eine besondere Position und Aufgabe: man läuft und bleibt zunächst hinter der durch die anderen Spieler gebildeten Linie und beobachtet sie bei Zweikämpfen um sich in einem günstigen Moment flink den Jugg zu schnappen und schnell in Mal am anderen Spielfeldrand zu platzieren, um einen Punkt zu machen. Somit haben sie einen besseren Überblick über das Spielgeschehen und koordinieren auch die anderen SpielerInnen im Team, rufen ihnen Hinweise und Tipps zu. LäuferInnen sind auch die einzigen, die mit ähnlichem Körpereinsatz wie beispielsweise im Ringen gegeneinander kämpfen dürfen, um sich gegenseitig den Jugg wegzunehmen oder sich am Laufen zu hindern. Manche Teams hätten regelmäßig Läuferinnen, obwohl es im Läuferzweikampf oft durch den Körperkontakt hart zugehe. Dabei wurde mir aber gesagt, dass Frauen dabei durchaus einen Vorteil hätten, da Männer sich bei ihnen oft nicht trauen würden, „richtig zuzupacken“ (Zitat M16) und sie weniger am Weiterkommen gehindert würden.

KettenspielerInnen haben, wenn sie die Kette gut beherrschen und schnell sind, durch deren Reichweite eine sehr hohe Trefferwahrscheinlichkeit und können schnell viele GegnerInnen treffen und so entscheidend zum Sieg der eigenen Mannschaft beitragen. Im Training und beim Unisportfest konnte ich beobachten, dass nur Männer Kette gespielt haben, während sich die Frauen den Stab oder Q-Tip als bevorzugte Pompfen ausgewählt hatten. Zu den Gründen warum Frauen selten Kette spielen, wurden mir zahlreiche genannt. Man steht als KettenspielerIn „total im Mittelpunkt des Spiels“, muss „Druck machen“ (Aussagen W1), ist zu einem großen Teil für den Erfolg des ganzen Teams verantwortlich und es sei auch körperlich „übelst anstrengend“. Eine Aussage einer Spielerin war außerdem, dass sie das Kettenspiel noch nie ausprobiert habe und sie sich noch nicht getraut hat obwohl sie es „schon cool findet“ (Zitat W2). Dies zeigt, dass Frauen sich wohl lieber im Hintergrund halten, ungern die meiste Verantwortung übernehmen wollen und sich selbst weniger zutrauen, wenn sie sich gar nicht erst trauen, den Umgang mit der Kette zu üben. Was dazu auch beitragen könnte ist vielleicht der größere Anteil männlicher Spieler, denen Frauen dann diese Aufgaben überlassen, auch weil sie so sozialisiert wurden, dass eher Männer verantwortungsvolle Positionen übernehmen sollten.

Bei Trainingseinheiten mit Körperkontakt wie dem Läufertraining wurden TrainingspartnerInnen wenn möglich oft gleichgeschlechtlich ausgesucht. Trotzdem schien für die Wahl des Gegners oder der Gegnerin weniger das Geschlecht als die Körpergröße oder das Können wie Präzision oder Schnelligkeit relevant zu sein. War der/die GegenspielerIn größer als man selbst, dann hatte er oder sie eine größere Reichweite der Arme und somit einen Vorteil beim Abtippen. Kleine SpielerInnen hingegen böten weniger Angriffsfläche und konnten auch schwieriger zu treffen sein.

Manchmal spielte aber auch die Pompfe des Gegenübers eine Rolle. Die Kette war dabei die am meisten „gefürchtete“ Pompfe, der viele aus dem Weg gingen. Dies liegt daran, dass auf Kette spezialisierte SpielerInnen eine hohe Trefferwahrscheinlichkeit hatten und man lernen musste, sich gegen KettenspielerInnen anders zu verteidigen.

Unterschiede stellte ich auch in Bezug auf neue Herausforderungen bei der UnisportspielerInnen fest. Frauen suchten sich zumindest im Anfängerstadium lieber GegnerInnen auf gleichem Niveau und wollten Spaß am Spiel haben. „Nein, gegen den spiel ich nicht, da verlier ich immer“ (Zitat W5) sagte eine Frau zwar in spaßigem Ton, es zeigte aber doch, dass sie sich die GegnerInnen bewusst nach Können auswählte. Auch das bewusste Vermeiden des Spielens gegen eine Kette oder die Einnahme der Läuferposition wurden von einer Frau genannt.

Männer hingegen suchten eher Herausforderungen und traten auch gern gegen erfahrenere SpielerInnen aus dem Verein an, aber auch gegen SpielerInnen, die ihnen körperlich hinsichtlich Körpergröße, Reichweite der Arme oder Schnelligkeit ebenbürtig waren.

 

7 Fazit

Meine Forschungsergebnisse können nicht generell verallgemeinert werden, da jedes Team individuell ist und ich im Rahmen der Forschung nur eine begrenzte Anzahl an SpielerInnen befragt habe. Die Konstruktion von Geschlechtlichkeit konnte ich in verschiedensten Situationen beobachten. Eine wichtige Rolle spielen sowohl äußerliche Merkmale wie Kleidung aber auch die auf sozialen Konventionen beruhenden Verhaltensweisen. Obwohl die Körperkonstitution wie die Reichweite der Arme im Spiel oft mehr zählen als das biologische Geschlecht, spielt es dennoch eine wichtige Rolle, da die kulturelle Codierung der Körper mit zur Reproduktion des sozialen Geschlechts beiträgt. Interaktionszusammenhänge im Sport sind nicht Normen- und Vorurteilsfrei und es hat sich teils klar gezeigt, dass die Interaktionen auf Klassifikationen und Typisierungen beruhen und unbewusst und automatisch ablaufen. Die Art der gemischtgeschlechtlichen Organisation der Mannschaften im Jugger trägt meiner Meinung nach dazu bei, die Relevanz der Geschlechterunterscheidung gering zu halten. Trotzdem sind neben der Tatsache der geringeren Beteiligung von Frauen, der gesellschaftlichen Sozialisation im Sport und durch inkorporiertes Wissen zum geschlechterkonformen Verhalten Muster und Vorbedingungen vorhanden, die sich ständig reproduzieren und gender konstruieren. Somit wurde mir auch klar, wie wichtig multidisziplinare Ansätze und der Einbezug von Elementen aus den Mikro-, Meso- und Makroebenen der Geschlechterforschung und ihrer Beziehungen zueinander für eine ethnologische Forschung sind.

 

 

Danksagung

Ich möchte mich bei allen Jugger-SpielerInnen des Universitätssports Halle vom Sommersemester 2015 sowie diverser auf der 2. Mitteldeutschen Meisterschaft in Halle anwesenden Jugger-Teams und dem Jugger Halle e.V. bedanken, bei und mit denen ich meine Feldforschung durchführen durfte. Besonderer Dank gilt dabei denjenigen, mit denen ich persönliche Interviews und Gespräche durchführen durfte.

Halle (Saale), den 30.11.15

Sabrina Reis

 

 

Anhang

Literatur- und Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Baur, Jürgen & Jochen Beck unter Mitarb. von Thomas Quilitz 1999. Vereinsorganisierter Frauensport. Aachen: Meyer & Meyer Verlag.

Bereswill, Mechthild & Katharina Liebsch (Hrsg.) 2013. Geschlecht (re)konstruiert. Zur methodologischen und methodischen Produktivität der Frauen- und Geschlechterforschung. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot.

Gildemeister, Regine 2009. Soziale Konstruktion von Geschlecht. Theorieangebote und offene Fragen. Weinheim/München: Juventa, 1-16.

Hartmann-Tews, Ilse 2003. Soziale Konstruktion vom Geschlecht im Sport. Wiesbaden: Springer.

Hartmann-Tews, Ilse 2006. Handbuch Sport und Geschlecht. Schorndorf: Hofmann.

Hauser-Schäublin, Brigitta 2003. Teilnehmende Beobachtung. In: Bettina Beer (Hrsg.): Methoden und Techniken der Feldforschung. Berlin: Dietrich Reimer Verlag, 33-54.

Meuser, Michael 2010. Körperdiskurse und Körperpraxen der Geschlechterdifferenz. In: Brigitte Aulenbacher, Michael Meuser & Birgit Riegraf (Verf.): Soziologische Geschlechterforschung. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 125-140.

Riegraf, Birgit 2010. Konstruktion von Geschlecht. In: Brigitte Aulenbacher, Michael Meuser & Birgit Riegraf (Verf.): Soziologische Geschlechterforschung. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 59-77.

Waldis, Barbara 2009. Sozialanthropologische Forschung. Feministische Perspektiven auf Migration im transnationalen Raum. In: Helma Lutz (Hrsg.): Gender Mobil. Geschlecht und Migration in transnationalen Räumen. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot, 142-157.

 

Internetquellen

IQ1: Das Jugger Wiki 2015. Wer macht was? http://wiki.jugger.org/doku.php?id=werwasmacht:werwasmacht (aufgerufen am 28.09.2015)

IQ2: Hirschauer, Stefan 2014. Wozu Gender Studies? Forschung & Lehre http://www.forschung-und-lehre.de/wordpress/?p=17324&print=1 (aufgerufen am 17.11.2015)

IQ3: Jugger Halle e.V. 2011. Was ist Jugger? https://jugglersjugg.wordpress.com/was-ist-jugger/ (aufgerufen am 19.06.2015)

IQ4: Schliep, Jan 2015. Project [PI] Internet. Portal Jugger Community http://www.jugger.org/portal (aufgerufen am 28.09.2015)

IQ5: Wickenhäuser, Ruben. Entstehungsgeschichte des Jugger. http://jugger.uhusnest.de/neueab/jugger_historie.pdf (aufgerufen am 17.11.2015)

 

Interviewleitfaden

Fragen an SpielerInnen vom Universitätssport

Wie bist du zu dem Sport gekommen? Gibt es für dich eine Verbindung zu LARP?

Was ist deine Motivation dafür, warum machst du beim Juggern mit?

Allgemein Motivation zum Sport?

Welche anderen Sportarten machst du/hast du vorher gemacht?

Was macht dir an der Sportart am meisten Spaß?

Hast du eine Lieblings-Pompfe und wenn ja, warum?

Wie findest du das Kettenspiel? Machst du das gerne?

Hast du eine/n Lieblingsgegner/in im Zweikampf?

Gegen wen trittst du am Liebstem im Zweikampf an und warum? Gegen wen lieber nicht?

Findest du, dass es einen Unterschied gibt, ob du gegen Frauen oder Männer antrittst?

Siehst du Unterschiede, ob beim Training oder im Zweikampf zwischen Frauen und Männern?

Fairness: Hast du beim Abzählen der Steine oder beim Abgetippt Werden schon einmal bemerkt, dass jemand schummelt oder hast du selber schon einmal geschummelt?

Hast du vorher schon andere Sportarten in Richtung Kampfsport oder Mannschaftssport gemacht?

Achtest du wegen Sport speziell auf deine Ernährung, also ernährst du dich besonders ausgewogen?

Wie fühlst du dich nach einem Sieg oder einer Niederlage bei Zweikämpfen und wie gehst du damit um, auch im Turnier?

Wie wählst du deine Sportkleidung aus?

 

Fragen an VereinsleiterInnen / TeamleiterInnen

Wie bist du zum Jugger-Sport gekommen?

Wie sieht eine optimale Trainingsstunde aus?

Warum gibt es keine Trennung Mann/Frau beim Jugger?

Wie ernst werden Wettkämpfe und Turniere genommen? Gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern?

Was macht das Spiel anders, wenn Frauen dabei sind (Frauen sind meist in Unterzahl)?

Wie zeigen sich Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen TeilnehmerInnen (beispielsweise bezüglich Wettkampfgeist, Wichtigkeit des Regelwerks, etc.)?

Gibt es „LieblingsgegnerInnen“ und wenn ja, warum?

Wie läuft die Organisation und Aufgabenverteilung in der Vereinsarbeit ab?

Was ist der sogenannte und oft erwähnte „Nerd-Faktor“? Zusammenhang zu LARP?

Wie kam das Vereinslogo zustande?

Auf welcher Basis und von wem wird die Taktik erstellt?

Erkennst du Unterschiede zwischen den Geschlechtern im kämpferischen Ausdruck?